Tagung 2002

Auftakttagung CBTR in Schrobenhausen

Mit der Auftakttagung im Mai 2002 hat sich das Centrum für deutsches und internationales Baugrund- und Tiefbaurecht zum ersten Mal öffentlich zu Wort gemeldet. Der erste Fachkongress war ein überwältigender Erfolg. Der Präsident des CBTR, Prof. Dr. Axel Wirth, konnte zahlreiche Vertreter aus Baurecht, Bautechnik, Baubetriebswirtschaft und Bausicherheit in Schrobenhausen begrüßen. Die Fachreferate bestritten Richter am BGH Prof. Dr. Rolf Kniffka ("Das Baugrundrisiko in der Rechtsprechung des BGH"), Vorsitzender Richter am OLG Düsseldorf, Prof. Dr. Klaus Vygen ("Abrechnungsprobleme bei Arbeiten im Tiefbau"), der Direktor des Instituts und der Versuchsanstalt für Geotechnik an der TU Darmstadt, Prof. Dr.-Ing. Rolf Katzenbach ("Tiefbautechnik und Tiefbaurecht – faszinierende interdisziplinäre Interaktionen") sowie Prof. Dipl.-Kfm. Thomas Bauer, Vizepräsident des Hauptverbandes der deutschen Bauindustrie ("Rechtsrahmen als Voraussetzung für eine freie Marktentfaltung am Bau"). Die Besichtigung von beeindruckenden Großgeräten für den Spezialtiefbau rundete das Programm ab.

Prof. Dr. Axel Wirth: Forum für Gedanken- und Erfahrungsaustausch

Zunächst galt es für CBTR-Präsident Prof. Dr. Axel Wirth, zwei elementare Begriffe zu klären. Was ist Baugrundrecht, was ist unter Tiefbaurecht zu verstehen? "Das Baugrundrecht befasst sich mit dem sozusagen blanken, also nicht durch eine Bauleistung irgendwie veränderten Baugrund selbst. Dem gegenüber steht das wesentlich umfassendere Tiefbaurecht mit all seinen Facetten von der Aufstellung eines Leistungsverzeichnisses bis zur Beurteilung von Setzungsschäden an Nachbargebäuden." Wirth begrüßte das Fachpublikum im Konferenzzentrum der Bauer AG in Schrobenhausen: "Mit Ihrer Anwesenheit unterstreichen Sie die Notwendigkeit eines interdisziplinären Gedankenaustausches von Baurecht, Bautechnik und Baubetriebswirtschaft und damit die Notwendigkeit einer Institution wie dem CBTR." Im Zusammenhang mit der Erbringung von Tiefbauleistungen seien immer größere und oft nur von Zufallsentscheidungen abhängige Rechtsprobleme aufgetreten, so Wirth. "Die rasante Entwicklung der Tiefbautechniken und der wirtschaftliche, aber auch ökologische Zwang, jedes Baugrundstück – auch in die Tiefe – auszureizen, brachten Konfliktpunkte mit sich, die noch Jahre früher unvorstellbar für eine gerichtliche Befassung gewesen wären." Dies betreffe sowohl technische Fragen als auch Rechtsprobleme in Zusammenhang mit dem "Überraschungsbaustoff Baugrund". Das CBTR wolle daher Abhilfe schaffen als Plattform für einen interdisziplinären Gedanken- und Erfahrungsaustausch.

Porf.Dr. Rolf Kniffka: "Präzise Vertragsgestaltungen wichtig!"

Das Baugrundrisiko in der Rechtssprechung des Bundesgerichtshofs beschäftigte Prof. Dr. Rolf Kniffka, Richter am BGH im VII. Senat, dem Bausenat. "Die Rechtssprechung des BGH zeigt, dass das Problem des Baugrundrisikos in erster Linie ein Problem der Vertragsauslegung ist, auf das nur in begrenztem Umfang typisierte Antworten formuliert werden können", resümierte Kniffka. Den Begriff des Baugrundrisikos verstand der BGH-Richter in einem weiten Sinn. Er umfasse nicht nur das Risiko, trotz sorgfältiger Ermittlung der Boden- und Wasserverhältnisse auf völlig Unerwartetes zu stoßen, sondern auch und insbesondere das allgemeine Risiko, ein Bauwerk in und auf den tatsächlichen Bodenverhältnissen zu errichten, unabhängig davon, wie gründlich die Voruntersuchungen waren und wie präzise der Vertrag die Bodenverhältnisse beschreibt. Als Grundlage aller Entscheidungen des BGH über die Risikoverteilung in einem Bauvertrag bezeichnete Prof. Kniffka die Entscheidung "Wasserhaltung II" (BGH-Urteil vom 11.11.93, VII ZR 47/93, in NJW 1994, 850; BauR 1994, 236; ZfBR 1994, 115). Diese Entscheidung habe deutlich gemacht, dass Vertragsauslegung "praktisch keine Grenzen hat". Sie habe genaue Grundsätze zur Auslegung eines Vertrages aufgestellt, der auf Grund einer öffentlichen Ausschreibung zustande kommt. Sie habe vor allem ins Bewusstsein gerückt, dass der Auftraggeber dem Auftragnehmer im Zweifel kein ungewöhnliches Wagnis auferlegen wolle. "Dieser Grundsatz gilt aber nur im Zweifel, also eben nicht da, wo kein Zweifel besteht, dass dem Auftragnehmer ein ungewöhnliches Wagnis auferlegt wird", so der BGHRichter. So könne sich bei der Auslegung eines Vertrags nach §§ 133, 157 BGB ergeben, dass nicht der klare Wortlaut maßgebend sei, sondern insbesondere unter dem Eindruck der Regelung des § 9 VOB/A sogar inhaltlich dessen Gegenteil. Im Rahmen der Entscheidung "Wasserhaltung II" hatte der Auftragnehmer an sich unabhängig von den vorgefundenen Wasser- und Bodenverhältnissen eine Leistung zu erbringen, gleichwohl aber war die Auslegung dieser Vereinbarung dahin erlaubt, dass bei völlig unerwarteten Wasser- und Bodenverhältnissen das abgegebene Angebot preislich nicht mehr bindend war. "Umso wichtiger ist es, durch präzise Vertragsgestaltungen Streitigkeiten zu vermeiden, andererseits im Falle gerichtlichen Streits umfassend zu den für die Vertragsauslegung relevanten Umständen vorzutragen", appellierte Kniffka.

Prof. Dr. Klaus Vygen: "Nachtragsstreitigkeiten oft unsachlich geführt"

"Streitigkeiten über die Abrechnung von Bauleistungen im Tiefbau und Nachtragsforderungen des Auftragnehmers wegen veränderter Bodenverhältnisse nehmen mehr und mehr zu und gehören zum Tagesgeschäft der Juristen", berichtete Prof. Dr. Klaus Vygen, Vorsitzender Richter am OLG Düsseldorf, aus seiner jahrelangen Praxis. "Allzu oft werden diese Auseinandersetzungen aber unsachlich geführt, weil auf der einen Seite dem Bauingenieur die rechtlichen Grundlagen und Probleme nicht hinreichend vertraut sind, auf der anderen Seite die Juristen die technischen und baubetrieblichen Probleme nicht kennen und verstehen, auch Kalkulationsgrundlagen sind für sie meist unverständlich", unterstrich Prof. Vygen den Bedarf an einem interdisziplinären Forum wie dem CBTR. Grundlage einer jeden Kalkulation und des späteren Vertragsabschlusses ist laut Prof. Vygen die Leistungsbeschreibung des Auftraggebers. Ihr komme entscheidende Bedeutung zu – auch für spätere Nachtragsforderungen: "Nachträge können immer nur dann gerechtfertigt sein, wenn sich das ursprünglich nach dem Vertrag geschuldete und mit den vereinbarten Preisen abgegoltene Bau-Soll nachträglich, also nach Vertragsabschluss, geändert hat", so Prof. Vygen. Daher sei die Leistung durch den Auftraggeber bereits gemäß § 9 VOB/A so eindeutig und erschöpfend zu beschreiben, dass alle Bewerber die Beschreibung im gleichen Sinne verstehen müssten und ihre Preise sicher und ohne umfangreiche Vorarbeiten berechnen könnten. Dabei würden diese Grundsätze auch für die funktionale Leistungsbeschreibung gelten.

Das Risiko einer unklaren oder unvollständigen Leistungsbeschreibung trage keineswegs immer nur der Auftraggeber. Wenn, wie in der Praxis immer häufiger anzutreffen – z.B. beim Bauträgervertrag –, der Auftragnehmer die Aufgabe der Beschreibung der Leistung übernommen habe, sei dieses Risiko ihm anzulasten. Bei der funktionalen Leistungsbeschreibung wiederum sei das Risiko aufgeteilt. Hier erstelle der Auftraggeber in der Regel die Vorentwurfs- und eventuell auch schon die Entwurfsplanung, während der Auftragnehmer meist die Ausführungsplanung übernehme.

Prof. Dr.-Ing. Rolf Katzenbach: "Faszinierende interdisplinäre Interaktionen"

Der Baugrund ist gemäß §§ 644, 645 BGB vom Auftraggeber zur Verfügung gestellter Werkstoff – aus diesem Grund besteht nach Meinung von Prof. Dr.-Ing. Rolf Katzenbach, Direktor des Instituts und der Versuchsanstalt für Geotechnik an der TU Darmstadt, insbesondere wegen der damit zusammen hängenden Problematik des Baugrundrisikos eine besondere Interaktion zwischen Tiefbautechnik und Tiefbaurecht. Das Grundproblem bestehe darin, dass der Baustoff Baugrund nur deduktiv und stichprobenartig identifiziert werden könne.

Prof. Katzenbach ging auch auf die Entwicklung der Spezialtiefbautechnik im 20. Jahrhundert ein, von Wandkonstruktionen aus Holz über Spundwände, dem Berliner Verbau und verrohrte Bohrpfähle bis zur Erfindung des Bauer-Verpressankers im Jahr 1958, der es ermöglichte, Baugruben ohne Innenaussteifung herzustellen. Am Beispiel von Hochhäusern als besonders sensible Bauwerke verdeutlichte Prof. Katzenbach die Techniken zur Beherrschung von Verkantungen und Setzungen: "Eine der zentralen Aufgabenstellungen ist hier der Entwurf eines allen Anforderungen an die Tragfähigkeit und Gebrauchstauglichkeit genügenden Gründungskörpers. Es gilt dabei, die aus den hohen und häufig exzentrischen Bauwerkslasten eines Hochhauses resultierenden Einwirkungen so in den Baugrund einzuleiten, dass die Standsicherheit, aber auch die Funktionalität gewährleistet wird." Zugleich müssten die durch die Gründung in der Nachbarschaft verursachten Verformungen minimiert werden.

Die ersten Frankfurter Hochhäuser hätten sich mangels geeigneter Gerätschaften und wegen fehlender technischer Grundlagen um bis zu 35 cm gesetzt und zum Teil Schiefstellungen erfahren, die die Nutzung in Frage stellten. Prof. Katzenbach stellte daraufhin einige technische Verfahren vor, wie heute derartigen Problemen bereits in der Planungsphase begegnet werden kann.

Prof. Dipl.-Kfm. Thomas Bauer: "Wettbewerb – Konstuktiver Umgang statt Knebelungstechnik!"

"Am Bau ist durchaus Substanz vorhanden – das Problem der Bauwirtschaft ist der Markt." Hart ins Gericht ging Prof. Dipl.-Kfm. Thomas Bauer, Vizepräsident des Hauptverbandes der deutschen Bauindustrie, mit dem "ruinösen Kostenwettbewerb" in der Bauwirtschaft und forderte mit Nachdruck eine ausgewogene Machtbalance zwischen Auftraggebern und Auftragnehmern.

"Wir in der Bauwirtschaft wollen einen freien Markt. Aber wir wollen in unserem Markt faire Spielregeln. Spielregeln, die auch das in den Wettbewerb einbringen, was den Markt unvollkommen und damit auch profitabel macht, den Vorteil, den ein innovatives, qualitäts- und kundenorientiertes Unternehmen gegenüber reinen Billiganbietern mitbringt", forderte Prof. Bauer. Stattdessen würden die Rechte der Bauherrn immer mehr denen der Bauunternehmer übergeordnet. "Dadurch geht das Sterben und der Neubeginn von Baubetrieben in der heute völlig überhöhten Dimension weiter mit der Folge enormer Zerstörung volkswirtschaftlichen Vermögens", warnte Bauer. Er nahm vor allem den Staat in die Pflicht: "Der Staat ist Hüter des Wettbewerbs. Der Staat hat die Aufgabe, einen selbstzerstörerischen Wettbewerb zu verhindern!" Durch die Ausleseprozesse und das Sterben von Bauunternehmen gehe auch erhebliches Know how verloren. Einer der Hauptgründe für die derzeitige Situation in der Bauwirtschaft ist nach dem Dafürhalten von Prof. Thomas Bauer, dass zwischen Auftraggebern und Auftragnehmern eben keine ausgewogene Machtbalance bestehe. In diesem Zusammenhang übte Bauer wiederum scharfe Kritik am Vorgehen des Staates: "Wie kann es sein, dass sich gerade der Staat seinen zusammen mit der Baubranche entwickelten Regelungen durch Ausgründungen aus staatlichen Haushalten massiv entzieht?" Prominentestes Beispiel sei die Deutsche Bahn: "Was uns hier an Verträgen präsentiert wird, spottet jeder Beschreibung!", schimpfte der Vizepräsident des Hauptverbandes der deutschen Bauindustrie. Sie nütze "mit juristischen Tricksereien" schlicht Marktmacht aus. "Der Monopolist hat dazu die Macht, und er nützt sie unverfroren aus." Die Bauwirtschaft sei dagegen machtlos: "Würden wir Unternehmer uns zusammen tun, um uns dagegen zu wehren, wäre das der nächste Korruptionsskandal." Die Bahn kneble die Unternehmer unter anderem auch durch Pauschalverträge und funktionale Ausschreibungen. Als Beispiel nannte Prof. Bauer die ICE-Neubaustrecken. Allein im Nordabschnitt der ICE-Neubaustrecke München-Nürnberg entstünden pro Tag rund 150.000 EUR Stillstandskosten.

"Grund für diese Misere ist nicht die schlechte Arbeit der Baufirmen," klärte Bauer auf, "Ursache sind die völlig unzureichende Baugrunderkundung vor der Planung und Ausschreibung und die vielen Änderungen, die fachlich nicht ausreichend betreut werden können." Auch die Verzögerung von Bauprozessen durch Gerichtsverfahren ist Prof. Bauer ein Dorn im Auge.

"Nicht nur die Bahn, auch die meisten Behörden machen es immer mehr zur Methode, jeden Streit vor Gericht klären zu lassen." Oft stecke dahinter "schlicht Ängstlichkeit". Immer öfter werde "die bekannt langsame Arbeit unserer Gerichte" aber auch bewusst manipulativ ausgenutzt, um den Auftragnehmer "finanziell verhungern zu lassen".

Aber Bauer hatte nicht nur Kritik, sondern auch Lösungsansätze im Gepäck: "Wir brauchen ein praxisgerechtes Recht und eine ausgewogene Rechtsanwendung", forderte er. Juristische Beratung habe ihren Platz, aber sie könne technische Lösungen nicht ersetzen. Am Bau werde es immer nur unvollständige Verträge geben können. Die Lücken müssten aber in fairer Zusammenarbeit zwischen Bauherren und Auftragnehmer ausgefüllt werden.

"Wir müssen bezüglich der Kultur unseres Verhaltens ein Stück in der Zeit zurückgehen und Vertrauen und Fairness auch juristisch wieder eine größere Chance einräumen, nicht destruktiv, sondern im Sinne des lateinischen Wortes für das Bauen konstruktiv miteinander umzugehen und etwas weniger Mühe in die Optimierung von Knebelungssystemen zu stecken. Wenn wir das erreichen, werden wir unsere volkswirtschaftliche Schubkraft wieder voll entwickeln." Denn: "Bauen ist eine der schönsten, faszinierendsten Tätigkeiten, die es in unserer Gesellschaft gibt. Bauen gestaltet die Welt am nachhaltigsten."

Besichtigung der Hausausstellung der Bauer AG - Gelegenheit zum persönlichen Austausch

Nicht nur Fachreferate prägten die Auftakttagung des CBTR. Bei einem "bayerischen Lunch" mit frischen Weißwürsten aus dem Kessel und Bier vom Fass kamen sich Juristen, Ingenieure, Techniker und Betriebswirtschafter auch im persönlichen Gespräch näher. Nach der Mittagspause konnten die Tagungsteilnehmer die Hausausstellung auf dem Gelände der Bauer AG besichtigen. Die großen Bohrgeräte und Spezialmaschinen hinterließen bleibende Eindrücke: "Wenn man vor den großen Spezialtiefbaugeräten steht und sich vorstellt, welche filigrane Arbeit Menschen damit verrichten können", so der Vizepräsident des CBTR und Baurechtsanwalt Josef Grauvogl, dann bleibt das auch weniger mit Technik infizierten Juristen nachhaltig in Erinnerung".

Nächste Tagung 2003 in Stuttgart

Die Auftakttagung des CBTR in Schrobenhausen war noch nicht ganz über die Bühne gegangen, da war schon die nächste Veranstaltung fixiert: Die Züblin Spezialtiefbau GmbH hat das CBTR spontan eingeladen, den nächsten Kongress in der Zentrale der Ed. Züblin AG in Stuttgart anzuberaumen. Als Termin ist Juni 2003 geplant.