Tagung 2004

Dritter interdisziplinärer Fachkongress des CBTR in Berlin

„Baurecht und Baupraxis an einem Tisch“ – das ist der interdisziplinäre Grundgedanke des Centrums für deutsches und internationales Baugrund- und Tiefbaurecht (CBTR) e.V. Im Juli hatte das CBTR zum inzwischen dritten Mal zu einem Fachkongress eingeladen. Die Veranstaltung im Grand Hotel Esplanade in Berlin stellte erneut die Notwendigkeit eines disziplinenübergreifenden Austauschs deutlich unter Beweis. Sowohl von baujuristischer als auch von Bauingenieurseite war die 3. Tiefbaurechtstagung ebenso zahlreich wie hochkarätig besucht. Im Mittelpunkt der Tagung stand der Berliner Hauptbahnhof (Lehrter Bahnhof). Nach den Fachreferaten am Vormittag folgte am Nachmittag ein Besuch mit kompetenter Führung durch hochrangige DB-Mitarbeiter durch die Jahrhundertbaustelle. Bei der Mitgliederversammlung im Hotel Esplanade in Berlin konnte CBTR-Präsident Prof. Dr. Axel Wirth auf drei erfolgreiche Jahre des Centrums zurückblicken. Im Rahmen eines Festabends verlieh das CBTR den inzwischen dritten Tiefbaurechtspreis. Prof. Dr. Klaus Vygen erhielt diesmal die „bronzene Asparagusschaufel“ für sein baurechtliches Lebenswerk.

Große Resonanz

Auf große Resonanz war die Einladung des CBTR zu seinem dritten Fachkongress gestoßen. Das Organisationsteam hatte gleich nach Veröffentlichung des Termins einen Ansturm an Anmeldungen zu bewältigen. Für den Vorstand und den Präsidenten des CBTR, Prof. Dr. Axel Wirth (TU Darmstadt) war dies ein deutliches Signal, dass das Centrum mit seiner Arbeit auf dem richtigen
Weg sei. Wirth konnte mit Prof. Dr. Rolf Kniffka auch wieder einen Repräsentanten des Bausenats des Bundesgerichtshofs unter den Tagungsteilnehmern begrüßen. Besonderen Dank richtete Wirth an die Sponsoren, die die Veranstaltung in der Form überhaupt erst ermöglicht hatten: Die ARGE Lehrter Bahnhof Los 1.4, die Deutsche Bahn und die VHV Versicherung Hannover hatten das CBTR unterstützt.

Prof. Dr. Klaus D. Kapellmann und Prof. Dr.-Ing. Martin Ziegler: Störfallkatalog im Tunnelbau

Der Vormittag stand auch diesmal wieder im Zeichen von interdisziplinären Fachvorträgen. Den Anfang machte ein im wahrsten Sinne des Wortes interdisziplinärer Vortrag: Rechtsanwalt
Prof. Dr. Klaus D. Kapellmann, Honorarprofessor an der Rheinisch-Westfälischen Technischen Hochschule (RWTH) in Aachen als Jurist sowie Prof. Dr.-Ing. Martin Ziegler vom Lehrder RWTH und Präsident der STUVA als Ingenieur beleuchteten zunächst in außergewöhnlicher Form Probleme bei Bauverträgen im Tunnelbau mit Schildvortrieb. Quasi im Zwiegespräch nahmen abwechselnd der Vertreter aus der Juristerei und der Vertreter der Technik zu dem Thema Stellung. Dabei belegten die beiden Redner eindrucksvoll die Notwendigkeit eines interdisziplinären Forums wie dem CBTR: Schnell wurde deutlich, dass der geotechnische Sachverständige und der Baujurist die relevanten
Probleme aus ganz unterschiedlichen Blickwinkeln betrachten.

Auch den Sinn und Nutzen eines Störfallkatalogs, der bereits in der Angebotsphase denkbare und vorhersehbare Zwischenfälle beim späteren Tunnelbau auflistet und die jeweiligen Folgen regelt, beurteilten beide Vertreter nicht immer einheitlich. Kapellmann und Ziegler stellten an Hand konkreter Beispiele dar, mit welchen Lösungsansätzen beide Seiten beispielsweise die Konsequenzen von
beauftragten, laut Katalog vorhersehbaren Störfällen, behandeln.

RA Josef Grauvogl: Dir Groß-ARGE als Rechtsperson

Mit der „Groß-ARGE als Rechtsperson“ beschäftigte sich CBTR-Vizepräsident Rechtsanwalt Josef Grauvogl, Lehrbeauftragter für Baurecht an der FH Hannover, in seinem Referat. Nicht nur bei einer Jahrhundertbaustelle wie dem Bau des neuen Berliner Hauptbahnhofs (Lehrter Bahnhof) ist auf
Auftragnehmerseite eine Groß-ARGE vorzufinden, sondern auch beispielsweise beim Bau des Terminals 2 am Münchener Flughafen sowie beim Aus- und Neubau von Wasserstraßen.

Nach aktueller Definition liegt ein Großprojekt vor bei einem Auftragswert ab ca. 25 Mio. Euro, wenn das Projekt eine längere ununterbrochene Abwicklungszeit benötigt und eine erhebliche Komplexität durch eine Vielzahl unterschiedlicher Bauleistungen aufweist.

Der BGH hatte die Dach-ARGE in einem Urteil im Jahr 2001 als Außengesellschaft mit Teilrechtsfähigkeit eingestuft, soweit sie durch ihre Teilnahme am Rechtsver-kehr eigenen Rechte und Pflichten begründet. Grauvogl sprach auch über die Problemkomplexe des Haftungsprivilegs und der Durchgängigkeit der Vertragsbestimmungen vom Auftraggeber zum Auftragnehmer am Ende der ARGE-Kette und nannte ferner Gründe, die dafür sprechen, einer (Dach-)ARGE die Rechtsform einer OHG zuzuerkennen.

Dr.-Ing. Jens Karstedt: Schwierige Aufgaben im Untergrund

Aus der Sicht eines geotechnischen Sachverständigen nahm Dr.-Ing. Jens Karstedt vom Berlin-Brandenburger Institut für Geotechnik GmbH und Präsident der Baukammer Berlin die Großbaustelle Lehrter Bahnhof unter die Lupe. Nicht nur die naturgegebenen Bedingungen im Berliner Baugrund
stellen Planer, Ingenieure und Bauarbeiter vor schwere Aufgaben, sondern auch die Dimensionen insbesondere der Tiefbaumaßnahmen.

Neun Baugruben mit einer Gesamtfläche von elf Fußballfeldern und einer Tiefe vergleichbar der Höhe eines fünfstöckigen Gebäudes nehmen Bauten für künftige Bahnsteige, Bahnhofshallen, Geschäfte, U-, S-, Regional- und Fernbahngleise auf. Karstedt zeigte verschiedene Techniken zur Bewältigung der Spezialtiefbauaufgaben auf und verglich aufgetretene Verformungen der Baugruben mit den vorher
angestellten Berechnungen. Die Ingenieure hatten stets ein wachsames Auge auf das Grundwassermanagement zu werfen, um in der sensiblen Umgebung zwischen Spree, Tiergarten und angrenzender Bebauung ein Absenken des Grundwassers verhindern zu können.

RAin Birgit Ahlswede und Dipl.-ing. Lutz Thorn: Havarien und versicherbare Risiken am Lehrter Bahnhof

Wassereinbrüche, versunkene Bagger, ein umgestürzter Kran und geflutete Baugruben in Größenordnungen eines mittleren Sees – fast schon ein Horrorszenario in Form eindrucksvoller Fotos aus der Baugeschichte des neuen Lehrter Bahnhofs hatten Dipl.-Ing. Lutz Thorn, Gutachter für
Geotechnik und Spezialtiefbau, und Rechtsanwältin Birgit Ahlswede von der VHV Versicherung Hannover mitgebracht.

Eine Baustelle dieser Größenordnung brachte freilich auch entsprechende Zwischenfälle mit sich. Die beiden Referenten berichteten von eingetretenen Schadensfällen im Zuge des Baus des neuen Berliner Hauptbahnhofs und zeigten Möglichkeiten auf, im Rahmen von Versicherungen der Bauleistung sowie der Haftpflicht von Bauherren, Bauunternehmen, Planern und der Umwelthaftpflicht
das finanzielle Risiko zu verringern.

Berliner Baustellenluft

Zu einem festen Programmpunkt hat sich inzwischen die Baustellenbesichtigung entwickelt – ein weiterer Baustein der Philosophie des CBTR. Neben der interdisziplinären Betrachtung von Problemstellungen am Bau konnten die Teilnehmer des Kongresses auch dieses Jahr am Nachmittag wieder Baustellenluft schnuppern, um sich vor Ort ein reales, „greifbares“ Bild von den zuvor theoretisch analysierten Themen machen zu können.

Die beiden Dipl.-Ing. Hany Azer und Jochen Stüting von der DB Projektbau GmbH stellten im Beisein von Justitiar Dr. Andreas Clement den aktuellen Baustand des Lehrter Bahnhofs vor. Während im Untergrund noch mehrere Ebenen für Bahn- und Fahrgastverkehr übereinander errichtet werden, steht über einer speziellen Brückenkonstruktion für die Stadtbahn bereits die filigrane Glasdachkonstruktion. Ab 2006 sollen nach acht Jahren Bauzeit täglich über 2.500 Züge den neuen Berliner Bahnhof bedienen. Die Gebäude werden rund 240.000 Nutzer pro Tag aufnehmen.